Alter

Frühstückende ältere Dame am Nachbartisch.
“Na, Frau S.”, ruft der Kellner, als er schwungvoll auf sie zuläuft. “Wie geht es Ihnen heute?”
Eben noch flink am Stulle schmieren gewesen, fällt sie nun dramatisch in sich zusammen. “Nicht so gut, Sie wissen schon. Die Knochen tun mir weh, ich höre schlecht und werde vergesslich. Wie heißen Sie nochmal?”
“Jürgen.” Er rückt ihr Besteck gerade. “Daher ist es doch umso schöner, dass Sie nun bei uns sind!”
“Ja, Sie sind ja auch sehr nett zu mir und helfen mir, aber Spaß macht das alles trotzdem nicht.”
Er putzt ihr Saftglas. “Wetter soll heute ja ganz schön werden.”
Sie winkt ab. “Ach, hören Sie doch auf!” Und es folgen weitere Ausführungen zu ihrem schwierigen Zustand.
“Aber, aber, lieber Frau S.!” Kellner Jürgen legt verschwörerisch seine Hand auf ihren Arm. “So schlimm wird es schon nicht sein.”
Fuchtig zieht sie ihren Arm weg. “Sie haben doch keine Ahnung!”
Er richtet sich wieder auf, gießt ihr Saft ein. “Vielleicht ist das ja auch völlig normal.”
“Bitte?”
“Sie sind immerhin schon 95.”
“94!”, ruft sie streng aus. “94, junger Mann!”
Kellner Jürgen grinst. “Na sehen Sie, Frau S., Sie kriegen also doch noch was mit. Und hören können Sie auch.”
Sie stutzt, lächelt dann, zum ersten Mal. “Sie sind mir vielleicht Einer”, sagt sie unerwartet verschmitzt.