Großes Kino: Warten auf den Bus

Montag, der 27. April 2020 Aus Von Dorit Linke

Also mal wieder Ostdeutschland, nach unzähligen Büchern und Filmen, nach oftmals halbgaren Versuchen, den Osten zu erzählen, ihn in ein zu enges Korsett zu zwängen, damit ein abschließendes und irgendwie versöhnliches: „Ja, so war das“ möglich wird.

Und plötzlich ist da „Warten auf’n Bus“, eine Mini-Serie vom Regisseur Dirk Kummer nach dem Drehbuch von Oliver Bukowski, die zu keinem Zeitpunkt auf einfache Erklärungen abzielt, sondern mit ihrer Intelligenz und Warmherzigkeit mitten in Mark und Herz trifft. Wie selbstverständlich ist die Serie da, und man fragt sich, was man ohne sie all die Jahre eigentlich gemacht hat.

In „Warten auf’n Bus“ geht es um weit mehr als „nur“ eine Männerfreundschaft in einer strukturschwachen Region, um mehr als Gerangel um eine Frau, um mehr als schlaue Sprüche (diese sind zugegeben frappierend klug und schlagfertig). Es geht ums Eingemachte, um einst kraftvolle Leben, die zum Halten gekommen und auf der Strecke geblieben sind. Und es geht nicht um Schuld. Was soll man auch sagen? Haut doch ab? Wohin denn? Und was genau sollen die Menschen tun, die nicht weggehen konnten, es nicht wollten, aus Gründen?

Davon erzählen Hannes und Ralle (grandios: Ronald Zehrfeld und Felix Kramer) an ihrer Bushaltestelle, mal ganz leise, mal ganz laut, zanken wie ein altes Ehepaar, kloppen sich, lachen begeistert über ihre eigenen Witze, sind oftmals und verständlicherweise zynisch, bewegen sich schwindelerregend nahe an menschlichen Abgründen und finden immer wieder versöhnlich zueinander – durch Kommunikation und im ständigen Ringen um Wertschätzung und Selbstachtung. Bei all dem Aufbegehren werden sie begleitet vom treuen Hund Maik (typisch ostdeutsch mit „ai“).

In regelmäßigen Abständen zeigt sich die Liebe. Den beiden Protagonisten und
auch den Zuschauern wird schnell klar, dass diese nicht erfüllt werden wird, zumindest nicht so, wie man sich dies vielleicht vorstellt. Die Busfahrerin Kathrin (grandios: Jördis Triebel) steht für das sture Nichtaufgebenwollen der Hoffnung, sie ist ein wohltuendes Bild für die Wahrung der Würde in einer recht aussichtslosen Lage. Und sie schenkt uns in einer gleichermaßen brachialen, witzigen und todernsten Situation eine wunderbar emanzipierte Naziverkloppszene.

Für mich gehört dieses Trio zu den stärksten ostdeutschen Charakteren, die im Film bisher gezeigt worden sind. Es sind gebrochene Menschen und auch wieder nicht, sie schwärmen von früher, von besseren Zeiten, erzählen von ihren Träumen und von ihrer Jugend, verklären dabei aber zu keinem Zeitpunkt die DDR, sondern ordnen sich, ihre Brüche, ihren Schmerz ein in den gesellschaftlichen Wandel, bleiben dabei aber kritisch und offen, wehren sich gegen Anmaßung und Dummheit.

Diesen Spagat zu schaffen in einer Kultur, die Geschichte(n) gern vereinfacht für den sogenannten Mainstream aufbereitet, und dann auch noch in dieser Komplexität filmisch darzustellen – das ist eine Meisterleistung von Regie, Drehbuch und Darstellern.

Am Ende denkt man kein abschließendes „Ja, so war das“. Man denkt: „Ja, so war das, so ist das, so bleibt es vermutlich auch noch eine Weile.“ Und dann schaut man die ganze Serie noch einmal von vorne an.